Erinnerung an "wilde Zeiten"

Gänsehaut beim Abitreffen

Der Neubau heißt immer noch Neubau, obwohl er schon über 50 Jahre alt ist. Amüsiert stellten die Besucher an der Kaiser-Karl-Schule (KKS) fest, dass ihnen trotz der vielen Veränderungen dieser Name noch vertraut ist. Viele waren 50 Jahre nach ihrem Abitur zum ersten Mal wieder an ihrer alten Wirkungsstätte. Organisator Jens Priewe verwies auf ein einziges früheres Treffen beim 25-jährigen Reifezeugnis-Jubiläum, aber in kleinerer Runde. Er freute sich über die große Teilnehmerzahl von 20 ehemaligen Schülern des früheren Jungengymnasiums und zwei Schülerinnen. Die IT-Managerin Barbara Leiter hatte sich aus Florida auf den weiten Weg gemacht, die Pianistin Ingeborg Hanssen lebt nun in Rissen. Sie erinnerte sich an raue Sitten zwischen den vielen Jungs, die sich auf dem Schulhof ständig „kloppten“ und den wenigen Mädchen das Leben schwer machten.

 

Von Itzehoe aus in die Medienbranche

Die übrigen Ehemaligen der einst 28-köpfigen Klasse - viele mittlerweile Ruheständler - kamen aus dem ganzen Bundesgebiet, einer sogar aus Nizza. Nur knapp die Hälfte ist im Norden geblieben und reiste aus Hamburg, Bad Bramstedt oder wie Zahnarzt Bernd Herrmann aus Wilster an. Viele weitere ergriffen den Arztberuf oder haben nach der Schule Jura studiert und wurden wie Jörg Rickers und Dieter Schwemann (beide noch Itzehoe) Notar oder Anwalt beziehungsweise Richter.

Lehrersohn Priewe – sein Vater unterrichtete an der KKS Englisch und Geschichte – lebt heute als Journalist in München. Er arbeitete lange als politischer Redakteur und schreibt mittlerweile als ausgewiesener Weinexperte Bücher und Drehbücher (ARD-Serie) über die edle Rebe. Ihre Liebhaber finden seine regelmäßigen Beiträge auch in der Zeitschrift „Feinschmecker“ und auf dem „kritisch-unterhaltsamen“ Weinportal www.weinkenner.de.

Außer Priewe zog es auch Rainer Boldt und Gerhard Hahn in die Medienbranche. Gerhard Hahn ist als Zeichentrickfilm-Regisseur und –Produzent mit einer eigenen Aktiengesellschaft erfolgreich. Filme wie „Werner- Beinhart!“, „Asterix in Amerika“ oder „Die Abrafaxe“ und Kinderserien wie „Benjamin Blümchen“ oder „Bibi Blocksberg“ stehen in seiner Filmografie.

Rainer Boldt, der am Treffen nicht teilnahm, wurde Regisseur und drehte in den Achtziger- und Neunzigerjahren die damals bekannte ZDF-Serie „Neues aus Uhlenbusch“ und „Nicht von schlechten Eltern“ für die ARD.

 

Erinnerung an wilde Zeiten

In die Geschichte der KKS schrieb er sich ein, da er – schon im Studium an der Deutschen Film –und Fernsehakademie in Berlin – 1969 an der KKS einen kritischen „Schülerfilm“ aufnahm, der sich mit veralteten und autoritären Lehrmethoden auseinander setzte. Seine Aufführung vor Oberstufenschülern, die dazu den Unterricht verlassen hatten, löste 1970 einen Skandal in der Störstadt aus, da die Schulleitung ein gerichtliches Aufführungsverbot beantragte hatte und harte Auseinandersetzungen folgten, die mit dem Freitod des Schulleiters endeten. Diesen Film sahen die Ehemaligen nun 50 Jahre nach dem Abitur zum ersten Mal und erinnerten sich an die „wilden Zeiten“ der 68er-Studentenrevolte, deren Vorläufer sie auch schon 1966 gespürt hatten, die sie direkt aber erst im Studium erlebten. Nicht wenige Lehrer, die die Ausläufer des Nationalsozialismus auch nach dessen Ende weiter vertraten, prägten auch an der KKS wie in vielen deutschen Schulen die Nachkriegszeit. Sie stießen aber Ende der Sechzigerjahre auf eine engagierte Gruppe von Junglehrern, die liberaler dachten und auch einen anderen Unterrichtsstil umsetzen wollten. Einblicke dazu gibt es auch auf der Homepage der KKS, auf der sich in der Sparte „Die KKS war für mich…“ zum 50-jährigen Jubiläum viele Ehemalige mit kleinen Beiträgen zu Wort melden. ( Zum Beitrag über den "Skandalfilm".)

 

Jugenderlebnisse sind nun Geschichte

„Gänsehaut“ löste der Film als historischer Kommentar, der aber auch die ideologische Verbissenheit beider Seiten spiegelt, nicht nur bei Ingeborg Hanssen aus. Auch der Schauspieler Max Volkert Martens , der aus vielen Fernsehfilmen und –serien bekannt ist und aus Berlin in seine Geburtsstadt Itzehoe kam, erinnerte sich an diese Kämpfe, die heutigen Schülerinnen und Schülern kaum mehr zu vermitteln sind: „Wir kriegten das als Jugendliche nur unterschwellig mit. Für mich war Schule aber nicht nur negativ besetzt, wir haben auch zusammengehalten und einiges ausgeheckt. “

Alle schauten mit neugierigen Blicken auf ihr ehemaliges Oberstufengebäude, besagten Neubau, der heute den Orientierungsstufenklassen einen eigenen Bereich bietet.

Im Haupthaus fanden ihre Erinnerungen auch in der Aula und im lichtdurchfluteten großen Zeichensaal, der mit den originalen dunklen Tischen seit Jahrzehnten unverändert das alte Schulflair atmet, wieder Anknüpfungspunkte. Danach ging es mit dem Historiker und ehemaligen KKS-Lehrer Ingo Lafrentz zum Stadtrundgang zu markanten Itzehoer Orten, die sie als Jugendliche in den 60ern noch nicht gewürdigt haben. Tenor: „Damals interessierten uns eher die Eisdiele und die Disko“.

(gab)

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